Aus dem "Börde-Bestseller": Westfälische Provence und andere Geschichten

 

Westfälische Provence

Als wir Studenten waren, sind mein Mann und ich mal im Herbst nach Südfrankreich in die Provence gereist. In den Alpen, die wir mit un­serem betagten orangefarbenen Käfer durch­querten, war es schon bitterkalt. Nie vergesse ich, wie wir dann Sisteron erreichten und auf einmal alles anders war: Die Luft war mild und duftete nach Süden, die Sonne wärmte noch, und Menschen saßen bis spät abends draußen auf den Plätzen vor den Bars und Cafes.

 

Wir fuhren weiter und landeten schließlich in einem verschlafenen Dorf am Lac d'Esparron, wo es einen Campingplatz gab. Glückliche Tage folgten, in die wir hineinlebten, ohne daran zu denken, was war und was werden würde. Ei­gentlich habe ich mich danach nicht mehr oft so leicht gefühlt und so frei auch nicht. Am Abend vor unserer Rückreise standen wir Hand in Hand vor der Dorfkirche und wollten eigent­lich gar nicht mehr weg. Ach, vielleicht..., dach­te ich und kämpfte gegen die Tränen an. Viel­leicht würde ich irgendwann zurückkehren und hier, wo mir alles besser zu sein schien, bleiben und für immer leben dürfen. Vielleicht konnte ich für diesen winzigen französischen Ort endlich einmal empfinden, was ich Zeit meines bisherigen Lebens noch nicht empfun­den hatte: Das Gefühl, genau hierhin zu gehören.

 

Es kam anders. Berufliche und damit verbun­dene geographische Irrungen und Wirrungen wehten uns hierhin und dorthin. Bis wir uns, vor nun fast 17 Jahren, endgültig nicht im süd­lichen Frankreich niederließen (was vermutlich angesichts unserer eher bescheidenen Sprach­kenntnisse ohnehin keine Erfolgsstory gewor­den wäre), sondern... nun ja... eben hier, mitten in Westfalen. Genau gesagt strandeten wir in einer von ihren Einwohnern liebevoll „die Bör­de“ genannten Region rund um die Stadt S. .

 

Das 700-Seelen-Dorf, in dem wir seither woh­nen, ist ebenso unspektakulär wie weit weg von jenem Ort am Lac d'Esparron. Ähnlichkeiten mit Landschaft, Klima und Architektur gibt es auch eher nicht. Und doch: Es ist Unerhörtes mit mir geschehen! Ich beginne mittlerweile nämlich zu ahnen, dass ich es vermissen würde, wenn ich hier eines Tages nicht mehr leben würde. (Zum Beispiel, weil auf der bucket-list steht, im Alter in südlichere Gefilde umzuzie­hen.)

 

Das Empfinden von ... nun ja ... nenne ich es ruhig einmal „Heimat“, ist relativ neu für mich. Wenn ich näher darüber nachdenke, was mir fehlen würde, zöge ich tatsächlich einst wieder weg, fällt mir ein: Der Himmel hier auf dem Land, der so viel größer zu sein scheint als der über der nahegelegenen Stadt, in der ich arbei­te. Jeden Tag, wenn ich nach Hause fahre, fällt mir das auf und zu jeder Jahreszeit. Ich sehe beim Nachdenken auch die Rapsfelder vor mir und die blühenden Obstbäume im Mai und mei­ne Kinder, die als sie klein waren mal im Som­merregen durch unseren Garten getanzt sind. Dann ist da noch der Weg durchs Feld mit dem Hund der Nachbarn an meiner Seite, den sie mir großzügig ausleihen, wann immer ich Be­darf nach einem ausgedehnten Spaziergang mit Begleitung habe. So ein Hund ersetzt einem ja glatt den Gesprächstherapeuten...

 

Überhaupt unsere Nachbarn. Prompt erinnere ich mich jetzt an die erste Begegnung mit Rein­hard, unserem Nachbarn von links gegenüber, am Gartenzaun. Offenbar war ihm Folgendes vorher zugetragen worden: Mein Mann hatte kurz nach unserem Einzug einige Schulkinder, die eine Abkürzung zur Bushaltestelle nutzten und über unser Grundstück liefen, angespro­chen und sie sehr bestimmt, wie es manchmal seine Art ist, gebeten, das doch zukünftig zu unterlassen, da es ihn und den frisch gesäten Rasen nun einmal störe. Ich stand dann einige Tage danach am Gartenzaun und zupfte das erste Unkraut, als mir plötzlich auf der anderen Seite des Zauns ein kräftiger Mann mit Vollbart in einem karierten Hemd gegenüber stand.

 

Hallo“, sagte ich.

 

Der Mann machte sich keinerlei Umstände, meine Begrüßung zu erwidern.

 

Seid ihr die tautrockenen* Idioten, die den Blagen neuerdings verbieten, hier herzugehen?“, fragte er stattdessen.

 

Was heißt denn 'ihr'?“, fragte ich kühl zu­rück und beschloss auf die gesammelten Provo­kationen des Herrn im Sinne einer Deeskalation gar nicht erst einzugehen.

 

Außer Ihnen sehe ich hier nur noch einen weiteren Menschen, nämlich mich.“

 

Ich kam mir sehr schlagfertig vor, bereit, mich nicht an meinem Gartenzaun von so einer westfälischen Ausgabe eines Hill-Billies ein­schüchtern zu lassen.

 

Kommst dir wohl ziemlich schlau vor?“, frag­te Mr. Kariertes Hemd und Vollbart.

 

Du dir selber nicht?“, entgegnete ich und no­tierte mir auf meinem innerlichen Notizblock ein 2:0 für mich.

 

Hömma“, kam es jetzt von der anderen Seite des Zauns.

 

Hier gehen seit Menschen Gedenken die I-Dötzkes her. Da können nicht so Leute wie ihr plötzlich mir nix dir nix mit umme Ecke kom­men, das sowas nicht mehr geht. Es gibt näm­lich Geh-wohn-heits-recht hier bei uns!“

 

Hm“, sagte ich. „Und wir haben hier bei uns grad frisch Rasen gesät oder genauer gesagt, hat mein Mann das gemacht. Da haben wir ja vielleicht ein Recht darauf, dass der dann auch mal wachsen kann, zumal auf unserem eigenen Grundstück.“

 

Ich fand mich sachlich und argumentativ voll auf der Höhe. Dieses Landei könnte jetzt wirk­lich mal klein geben. Tat es aber nicht.

 

Früscher Raaaasen“, imitierte er mich. „Grass ist das! Bist du etwa so 'ne ganz Arrogante aus der Stadt?“

 

Hömma! Jetzt ist hier aber mal Schluß mit dem Generve, verzieh dich jetzt und lass' mich in Ruhe, ja!“

 

Allmählich kam auch bei mir einiges in Bewe­gung, was immer gleich unmittelbare Auswir­kungen auf meine Sprache hat.

 

Stadtzicke!“

 

Bauer!“

 

Das sagte jetzt ich. Oder eher: Ich hörte es mich sagen. Dabei stemmte ich meine Hände in die Hüften. Am liebsten hätte ich auch noch eine Mistgabel zur Hand gehabt.

 

Zum ersten Mal blickte ich nun aber auch ge­nauer in das Gesicht meines Gegenübers, um es zu fixieren, und... registrierte...einen gar nicht mal soo unfreundlichen Blick aus sehr blauen Augen, die von Lachfältchen umgeben waren und einen fast amüsierten Ausdruckum die Mundwinkel. Insgesamt wirkte der Mann, der hier vor mir stand, eher gutmütig als aggressiv. Seine Mundwinkel zuckten bald immer verdächtiger. Schließlich grinste er breit.

 

Nee, Landmaschinenmechaniker“, erwiderte er mit tiefer Stimmeund begann, ich traute meinen Ohren kaum, donnernd zu lachen.

 

Wenige Sekunden später streckte er mir seine Hand über den Gartenzaun entgegen. Ich zö­gerte etwas, bevor ich ihm meine gab, die in seiner nahezu verschwand. Er drückte sie fest, aber erstaunlich gefühlvoll. Jetzt konnte ich ir­gendwie auch nicht mehr anders, als ihn anzu­lachen.

 

Reinhard“, sagte er. „Für Freunde und gute Nachbarn auch 'Hart', weil kürzer. Und jetzt bleibste mal hier, und ich hol' uns eben wacker 'n Bier und 'n Schnaps, und wir bereden auf eu­rer schönen Bank da in euerm Gatten alles wei­tere.“

 

Es endete feuchtfröhlich. Irgendwann kam Harts Frau Ingrid dazu und später auch noch mein Mann mit unseren gesamten Weinvorrä­ten, die gegen unsere trinkfesten neuen Nach­barn keine Chance hatten, obwohl sie immer wieder erklärten, dass sie ja eigentlich einge­fleischte Biertrinker seien. Es war der Beginn einer wirklich wunderbaren Nachbarschaft. Zu der gehören neben Hart und Ingrid auch Ella und Jo samt Jos Mutter Liesel vom Hof von rechts, schließlich noch Ulla vom Hof von direkt gegenüber.

 

Sie alle würden mir fehlen, wenn ich mit 68 oder so am Lac d'Esparron oder am Mittelmeer oder wo auch immer im Süden leben würde. Obwohl ich mir eigentlich sicher bin, dass es nicht lange dauern würde, bis sie auf Besuch anrückten. Mit Veltins-Kisten und Northoffs Korn im Kofferraum ihrer Autos und mit sehr viel guter Laune. Zurückkehren würden sie ver­mutlich mit einigen Flaschen Rotwein aus der Gegend, den sie später im Dorf den anderen Nachbarn anbieten würden zum Beweis, dass sie tatsächlich bei uns gewesen sind. Um dann darauf schnell wieder mit Bier und Schnaps an­zustoßen und das Hohelied anzustimmen auf die einzig wahre Provence der Welt, die westfä­lische.

 

 

 

*westf. Platt für: „zugezogen“

 

***

 

Gott und ich fahren Fahrrad

Als der wunderbare Maarten t'Hart über seinen Fahrrad fahrenden Vater schrieb, dabei auch über die Vergänglichkeit des Lebens philoso­phierte und darüber, wie einen die Erkenntnis jäh treffen kann, dass wir nach dem Tod der El­tern die nächsten sind, die gehen werden..., also, als ich diesen kleinen Roman mit dem zau­berhaften Titel („Gott fährt Fahrrad“) zum ers­ten Mal las, gab es noch keine E-Bikes!

 

Ehrlich gesagt: Ich hasse die Dinger, und da ich mir, ganz kindlich, Gott immer noch als al­ten Mann mit weißem, langen Bart vorstelle, hätte ich sonst wohlmöglich sofort die Assozia­tion gehabt, dass es so ein motorbetriebenes Unding ist, auf dem er sitzt. Auf so einem, wie - gefühlt - alle Menschen über 50 sitzen, denen ich auf meiner täglichen Tour mit dem Fahrrad im Feld neuerdings begegne.

 

Meine Motive aufs Rad zu steigen, und jeden Morgen zu meiner vier Kilometer entfernten Arbeitsstelle und wieder zurück zu radeln (wohlgemerkt auf einem anständigen Fahrrad) waren weniger ökologische als ökonomische. Aufgrund eines Jobwechsels war der Firmenwa­gen futsch, und die Anschaffung und Unterhal­tung eines Zweitwagens hätte zwar nicht den wirtschaftlichen Ruin der Familie, wohl aber...

 

(weiter geht's im Buch)

 

Leseprobe aus dem Krimi "Endstation Silo"

 August 1982  - Französische Atlantikküste

 

Der Anblick des toten Mädchens am Strand weckte in ihm die Erinnerung an ein Bild, das er in einem Band über Malerei des 19. Jahrhunderts gesehen hatte: Ophelia. Leblos in einem Fluss treibend unter Weidenbäumen hatte der Maler sie dargestellt: eine fast unwirklich schöne, sehr junge Frau, die zum Himmel aufzublicken schien. Der Ausdruck in ihrem blassen Gesicht wirkte friedvoll.
Die sehr wirkliche Tote lag ihm praktisch zu Füßen - knapp oberhalb der Wasserlinie, lang ausgestreckt auf dem Rücken. Sie trug ein weites weißes Kleid.

Man hatte ihn kurz nach seinem morgendlichen Dienstbeginn darüber informiert, dass am Hourtin Plage, etwas außerhalb der Badezone, ein lebloser Körper entdeckt worden war. War sie beim Baden ertrunken? Das war ja wohl die wahrscheinlichste Erklärung. Das Meer hatte hier gefährliche Unterströmungen. Immer wieder kamen an diesem Teil der Küste Menschen ums Leben. Selbst gute und erfahrene Schwimmer hatten unterschätzt, wie stark der Sog war, der sie immer weiter vom rettenden Ufer hinauszog auf die offene See. Auch gab es allzu Sorglose, die außerhalb der bewachten Zonen badeten oder zu Zeiten, an denen die sauveteurs, die Rettungsschwimmer, nicht auf ihrem Posten waren.
Aber warum in aller Welt hatte sie dieses lange Kleid anbehalten, wenn sie schwimmen war? Und war es nicht so, dass Menschen, wenn sie draußen im Meer ertrunken waren, zunächst untergingen, um erst nach Tagen wieder an der Oberfläche aufzutauchen?

Fakt war: Niemand wusste derzeit, was genau mit dem Mädchen passiert war. Spaziergänger hatten es am frühen Morgen entdeckt und waren in die am nächsten gelegene Strandbar, das L'Atlantide, gelaufen. Der Chef war bereits da gewesen, um sich auf die in der Saison üblichen Touristenanstürme vorzubereiten. Er hatte zunächst einen Rettungswagen und dann ihn, Thierry Abel, den derzeit einzigen anwesenden Polizisten in der Polizeiwache vor Ort, angerufen. Ein Kollege war krank, der andere im Urlaub. Thierry war gleichzeitig mit dem Arzt eingetroffen und hatte, nachdem der ihm signalisiert hatte, da sei nichts mehr zu machen, über Funk die Kollegen in Bordeaux informiert, wie es für Todesfälle Vorschrift war: Eine Tote liege am Hourtin Plage. Ein junges Mädchen, dem Augenschein nach ertrunken. Ja, die Stelle habe er selbstverständlich bereits provisorisch abgesperrt. Aber er brauche auf jeden Fall noch mehr Leute, allein schon um die Schaulustigen fernzuhalten.

Die Flut war gerade erst abgelaufen. Im feuchten Sand waren Rinnsale, in denen noch das Wasser stand. Trotz der frühen Stunde war der Himmel tiefblau, keine Wolke war zu sehen.

Bilderbuchwetter, dachte er.

Dazu dieses unvergleichliche Licht. Das gab es nur hier am Atlantik. Es brachte alle Farben so intensiv zum Leuchten, dass sie nahezu blendeten: die Ockerfarbe des Sandes, das Grün der Gräser in den Dünen, das Türkisblau vom Schuppen der sauveteurs am Aufgang zum Strand und auch das Weiß des Kleides am Körper des toten Mädchens. Der Stoff hatte sich mit Wasser voll gesogen und da, wo er an ihrem Körper klebte, war er durchsichtig wie ein Schleier. Unterhalb des Saums schauten ihre Beine hervor. Um den Knöchel am linken Fuß trug sie ein Kettchen aus winzigen hellblauen Glasperlen. Ihre Haare schimmerten in der Morgensonne und lagen um ihren Kopf herum ausgebreitet im nassen Sand - wie ein Strahlenkranz.

Die Kollegen der Spurensicherung und der Rechtsmedizin liefen geschäftig umher. Der Inspektor, der die Ermittlungen leiten würde, sah missmutig aus und hatte sich nur sehr knapp vorgestellt.

 

Thierry hatte das Mädchen schon einmal gesehen - als sie noch lebte! Er war ihr einige Tage zuvor auf dem Wochenmarkt an der Straße, die zum Strand führte, begegnet. Im Strom der Touristen, die sich durch die Marktstände drängelten, war sie ihm aufgefallen. Sie hatte dasselbe weiße Kleid getragen, in dem sie jetzt tot im nassen Sand lag. An einen Haarreif aus künstlichen Margeriten auf ihrem Kopf und an die blonden, etwas gewellten Haare erinnerte er sich auch. Ihm fiel ein, wie er darum bemüht gewesen war, sie nicht allzu auffällig anzustarren, denn sie war eines jener Wesen, das so viel makellose Schönheit vom lieben Gott abbekommen hatte, dass es ihm schwerfiel, seinen Blick abzuwenden: von ihren leicht schräg stehenden Mandelaugen, den hohen Wangenknochen, der ideal geformten Nase. Selbst ihre Ohren waren hübsch, hatte er festgestellt, als sie sich eine Strähne des langen Haars nach hinten strich. Groß und schlank war sie, mit endlos langen Beinen. Ihre Haut war in einem warmen Bronzeton gebräunt. Selten hatte er außerhalb einer Gemäldegalerie eine so schöne junge Frau gesehen und sich im selben Moment geärgert, dass er seinen Skizzenblock nicht dabei gehabt hatte!

Mit einer großen Korbtasche über der Schulter war sie leichtfüßig und anmutig an ihm vorbei gegangen, hatte beim Gemüsestand eine Honigmelone gekauft und sich anschließend von einem der afrikanischen Händler ein Lederarmband zeigen lassen. Dann hatte sie jemanden in der Menschenmenge entdeckt und begonnen, aufgeregt zu winken und auf Deutsch zu rufen: Kommst du mit mir an den Strand, Serge?

Vor Thierrys Augen war sie anschließend im Getümmel verschwunden. Wem ihre Frage gegolten hatte, war ihm verborgen geblieben.

 

Der Inspektor aus der Stadt befragte die beiden sichtlich geschockten Zeugen, die das Mädchen tot aufgefunden hatten: zwei junge Männer, Urlauber, wohl aus Großbritannien, denn er redete Englisch mit ihnen. Oder zumindest versuchte er es. Sehr erfolgreich schien das Gespräch nicht zu verlaufen. Thierry widerstand dem Impuls, seine Hilfe als Dolmetscher anzubieten. Der Kollege aus der Stadt war ihm nicht besonders sympathisch vorgekommen. Geradezu arrogant war er gewesen und hatte Thierry mehrmals von oben herab gegenüber seinen Kollegen als der Dorfpolizist bezeichnet. Sollte er sich also ruhig erst einmal weiter quälen. Dann würde er ihm eben erst später mitteilen, dass er – Thierry – der Toten schon einmal in Hourtin Plage begegnet sei. Wahrscheinlich, so könnte er (wenn er denn wollte) dem Inspektor weiter erzählen, gehöre sie zu der Gruppe alternativer Rucksack- und Wohnmobil-Touristen, die beim Wildcampen in den etwas abgelegeneren Dünen erwischt worden war und sich mittlerweile in den Camping Les Vagues am Ortseingang verzogen hatte. Er vermutete, dass man sich dort zwar offiziell angemeldet, aber - um Geld zu sparen - nur die Hälfte der Personen angegeben hatte, die tatsächlich in den Minipack-Zelten und klapprigen VW-Bullys schliefen und die sanitären Anlagen nutzten. Erst vor kurzem hatte sich der Chef des Campingplatz bei ihm genau darüber beschwert. Jetzt, in der Hauptsaison, habe das Personal auf dem Campingplatz viel zu wenig Zeit, um genau zu kontrollieren. Obendrein würden sich diese deutschen Hippies alle viel zu ähnlich sehen, um sie auseinander halten zu können.

Wieder verweilte sein Blick für eine Weile bei dem schönen Mädchen, das jetzt ein Leichnam am Strand war. Auf den ersten Blick waren an ihrem Körper keine Spuren von Gewaltanwendung sichtbar: kein Blut, keine Verletzungen oder Abschürfungen, auch keine anderen Anzeichen wie Striemen oder Würgemale. Ihr Körper schien, von außen betrachtet, völlig intakt. Doch sie war tot. Mitten aus einem viel zu kurzen Leben gerissen. Nie mehr würde sie nachts mit den anderen jungen Leuten zusammen um ein Lagerfeuer am Strand sitzen und hingebungsvoll We shall overcome zur Gitarre singen. Was für ein Jammer! Thierry schnürte es regelrecht den Hals zu, und er bekam einen Moment lang kaum Luft. Sie ist höchstens so alt wie meine jüngste Schwester. Sechzehn also . Vielleicht ist sie noch jünger.

Immer noch versuchte der Inspektor - mittlerweile wild gestikulierend - den englischen Jungs, die beide weiße Shorts, blau-weiß gestreifte T-Shirts und blaue Segeltuchschuhe trugen, verständlich zu machen, was genau er von ihnen wissen wollte. Er schien dabei immer noch nicht viel weiter gekommen zu sein. Thierrys heimliche Genugtuung darüber wuchs.

Das geschah dem arroganten Fatzke recht!

 

In diesem Moment rannte eine Frau Anfang zwanzig, mit raspelkurz geschnittenen dunklen Haaren – sie trug eine ausgefranste, kurze Jeans und ein ärmelloses T-Shirt mit schwarz-weißem Batik-Muster - auf die Menschengruppe zu, so dass der Sand hinter ihren nackten Füßen aufflog. Ehe jemand reagieren konnte, riss sie das rot-weiße Band, mit dem der Fundort abgesperrt war, entzwei und fiel direkt vor der Toten auf die Knie. Ihre schrillen Schreie und die deutschen Worte, die sie dazwischen stammelnd und völlig außer Atem herausbrachte, hallten lange in Thierrys Ohren nach.

Kristin... nein... oh... oh... mein Gott... Erbarmen... nein... das... kann nicht... es darf nicht...bitte...Hilfe... .“

Der Inspektor unterbrach sein Gespräch mit den Engländern, eilte auf die Frau zu und herrschte sie an, sie müsse sich von der Leiche entfernen und hinter der Absperrung warten, bis sie vernommen würde. Die Frau reagierte nicht. Entweder sprach sie kein Französisch, oder sie war zu geschockt, um die ebenso harsche wie schnell gesprochene Anweisung zu verstehen. Thierry konnte das Verhalten des Inspektors nicht nachvollziehen. Offensichtlich kannte die dunkelhaarige Frau die Tote! Davon musste doch auch der Kollege aus der Stadt ausgehen, selbst wenn er ihre auf Deutsch gesprochenen Worte nicht verstanden hatte, was Thierry jetzt einfach annahm. Wäre es da nicht sinnvoller gewesen, das nicht besonders ergiebige Gespräch mit den jungen Briten zu unterbrechen und sich mit ihr zu beschäftigen?

Vergeblich versuchte er einen Blickkontakt mit dem Inspektor, um ihm ein entsprechendes Zeichen zu geben. Schließlich rief Thierry ihm laut zu, er würde sich jetzt um die Frau kümmern und näherte sich ihr mit bedächtigen Schritten.

Mittlerweile sagte sie nichts mehr, schluchzte nur laut und völlig verzweifelt vor sich hin, das Gesicht hinter den Händen verborgen. Immer noch kniete sie im Sand, unmittelbar neben der Toten. Vorsichtig legte er seine Hand auf ihre Schulter.

Bitte“, sagte er auf Deutsch zu ihr, „Sie können nichts mehr für sie tun. Stehen Sie doch auf und kommen Sie mit mir. Sie sind sicher! Ich bin von der Polizei. Vielleicht können Sie sich etwas beruhigen.“

Es funktionierte.

Sie erhob sich und ließ sich von ihm zu der türkis-blauen Bretterbude führen, wo er sich neben sie in den Sand hockte. Beide lehnten sich mit dem Rücken an die Wand der Hütte an. Obwohl sie mittlerweile aufgehört hatte zu schluchzen, liefen ihr weiterhin Tränen über das Gesicht. Weil sie am ganzen Körper zitterte, hatte er seine Jacke ausgezogen und ihr umgehängt.

Wieso sprechen Sie so gut Deutsch?“, fragte sie nach einer ganzen Weile zu seiner Überraschung in die entstandene Stille hinein.

Er sagte es ihr.

Erst viel später befragte er sie zu dem toten Mädchen.

 

Nichts, was an diesem Morgen geschah, konnte er jemals wieder vergessen. Alles, jedes Detail, grub sich fest in sein Gedächtnis ein. Es war, als habe sein Gehirn von jeder einzelnen Szene ein Standfoto gemacht. So würde er sich immer an die Verzweiflung und die Trauer im Gesicht der zutiefst geschockten Frau erinnern, die weinend neben ihm kauerte, während die Sonne am Horizont höher und höher stieg.

 

 

Juni 2014- Ländliches Westfalen

Dienstag, 3. Juni

Bericht aus dem Börde-Anzeiger

Ein sichtlich gut gelauntes Königspaar mit seinem stolzen Hofstaat, sonniges Wetter und zahlreiche schneidige Schützen sorgten am vergangenen Wochenende für ein gelungenes Höllingser Schützenfest.

Beim Vogelschießen setzte sich Ulrich Tollknäpper (Foto) am Ende gegen Dr. Wilm Kilian durch, der unter der Vogelstange lange mit ihm um die Königswürde wetteiferte. Mit dem 212. Schuss gelang es dem Immobilienmakler den auch in diesem Jahr von Tischlermeister Otto Nottebohm gefertigten Holz-Vogel namens 'Gustavo' endlich von der Stange zu holen. Die Insignien teilten sich die Schützen Heiko Westerholt (Krone mit dem 8. Schuss) und Hinrich Zurmühlen (Apfel mit dem 96. und Zepter mit dem 106. Schuss). Zur Königin wählte Tollknäpper seine Frau Jasmin. Bombastische Stimmung herrschte auf dem Schützenball am Samstagabend in der geschmückten Vereinshalle. Zu den Klängen der „Börde-Jaust-Combo“ tanzten die Schützen fröhlich bis in die frühen Morgenstunden. Zusammen mit seinem prächtig herausgeputzten Hofstaat zeigte sich das Königspaar auch am Sonntag ausgiebig beim Umzug durch das Dorf und der zackigen Parade.

Überschattet wurde das muntere schützenfestliche Treiben vom Wochenende durch das mysteriöse Verschwinden des bekannten Höllingser Lokalpolitikers Sigurd Schulte-Höggendahl sowie der ebenfalls im Dorf beheimateten Aleke W. . Wie unsere Zeitung soeben erst erfuhr, fehlt von beiden 9seit den Abendstunden des vergangenen Sonntags jede Spur. Zuletzt wurden sie am Bierstand vor der Schützenhalle gesehen. Die Polizei wurde mittlerweile eingeschaltet. Bei Redaktionsschluss gab es noch keinerlei konkrete Resultate, wie ein Polizeisprecher unserer Zeitung auf Anfrage mitteilte.

 

Donnerstag, 5. Juni

1

Josef-Karl Rietkötter, von Familie und Freunden kurz Joke genannt, wischte sich den Schweiß von der Stirn und gähnte. Gott, war er müde und kaputt! Direkt nach seiner Arbeit - hauptberuflich war er Leiter des Raiffeisenmarktes in der nahegelegenen Kreisstadt - hatte er seinen alten Deutz-Trecker mit dem Heuwender bestückt und war zu seiner Wiese etwas außerhalb von Höllingsen gefahren, um das Heu zu wenden, das er tags zuvor gemäht hatte: ein Wettlauf gegen die Zeit.

Ab Sonntag hatte der Wetterdienst vom Landwirtschaftlichen Wochenblatt – Joke hatte die App auf seinem Smartphone - Regen angesagt, viel Regen. Wie mittlerweile viele Bewohner des 300-Seelen-Dorfs Höllingsen war er Nebenerwerbslandwirt. Das Heu brauchte er für seine kleine Schafherde, die sein ganzer Stolz war. 14 Lämmer hatte er in diesem Frühjahr gehabt. Das war Rekord!

Joke baute auf die Vorhersage und weiterhin trockenes und sonniges Wetter, jedenfalls an den nächsten beiden Tagen. Dann würde er Freitag das Heu zu Ballen pressen lassen und hätte am Wochenende genug Zeit, diese mit dem Hänger abzuholen, um sie danach mit Unterstützung seiner Frau Mia in der Scheune des alten Hofs einzulagern. Seine Söhne standen für derlei Tätigkeiten ja nun nicht mehr zu Verfügung. Beide liefen Jokes Meinung nach etwas aus der Spur. Nichts mehr wollten die Herren, wie er seine Sprösslinge manchmal (vor allem, wenn er nicht so gut auf sie zu sprechen war) nannte, mit Landwirtschaft und dem Hof zu tun haben, weder haupt- noch nebenberuflich. Obwohl sein älterer Sohn Lukas als Industriedesigner bei einem bekannten bayrischen Automobilhersteller gutes Geld verdiente und der zweite, Lutz, gerade an seiner Doktorarbeit in Physik schrieb, war es Joke – vor allem in der Nachbarschaft - manchmal etwas peinlich, dass seine beiden Jungs sich dem dörflichen Leben komplett verweigerten.

Vollkommen aus der Art geschlagen, die Jäuster! Nicht einmal mehr zum Schützenfest kamen sie nach Hause!

Joke seufzte. Ach ja... . Das Schützenfest war für dieses Jahr nun auch schon wieder Geschichte. Aber das Wochenende hing ihm immer noch ziemlich in den Knochen. Obwohl er mit dem amtierenden Schützenkönig nicht befreundet war, ihn noch nicht einmal gut leiden konnte, hatte der ihn in seinen Hofstaat gebeten – eine Ehre, die man niemals, unter eigentlich fast gar keinen Umständen zurückweisen konnte! Jedenfalls nicht in Höllingsen, wo im Schützenverein noch die alten Traditionen zählten! Schließlich hatte man bislang erfolgreich jedwede Anpassung der Statuten an moderne Zeiten verweigert. Frauen unter der Vogelstange wie im Nachbarort Ripplohe? Nur über die Leichen des Vorstands! Also auch über seine, Jokes Leiche.

So hatten er und Mia in den sauren Apfel gebissen und wieder einmal engagiert beim Hofstaat mitgemischt. Am Ende war es - wie immer - sehr, sehr lustig geworden. Bier und Schnaps waren in Strömen geflossen. Da hatte sich dieser etwas hochnäsige Tollknäpper kein bisschen lumpen lassen, soviel musste man ihm jetzt schon lassen. Mia war außerdem mal wieder die schönste und knackigste Mittfünfzigerin im kompletten Hofstaat gewesen. Von ihrer Figur träumte so manche Dreißigjährige! Toll hatte sie in dem eher schlichten roten Kleid ausgesehen– Junge, Junge! Da hatte so manchen Schützenkollegen sicherlich der Neid gepackt.

Joke griente bei dem Gedanken etwas selbstgefällig vor sich hin. Dann spürte er wieder Müdigkeit und Erschöpfung schwer wie Blei in und an seinem Körper hängen. Mann, war er fertig. Gut, dass jetzt endlich für heute Feierabend war! Er würde jetzt nach Hause gehen, lecker essen, ein Bierchen schlürfen... Oh nein...! Auf einmal fiel ihm ein, was ihm Mia heute Morgen verkündet und was er bis eben gerade vergessen oder (wohl eher noch) erfolgreich verdrängt hatte: Josef-Karl! Wir haben mal wieder gut gelebt an Schützenfest. Zu gut! Ab heute Abend wird entsagt und entschlackt! Kein Alkohol und vegane Ernährung für die nächsten drei Wochen!

Jokes Stimmung näherte sich jäh dem Nullpunkt.

Mia war nicht nur wahnsinnig attraktiv für ihr Alter, sondern leider auch wahnsinnig rigide. Wenn sie beschlossen hatte, vorerst gesund zu leben, erwartete ihn zum Abendessen so etwas wie ein mit Nüssen überbackener, veganer Gemüseauflauf und – was fast noch schlimmer war – statt seines geliebten Feierabendbierchens ein Brennesseltee! Gab es etwas Scheußlicheres als dieses grünliche, nach Gras und Hundepipi schmeckende Gebräu, von dem Mia nicht müde wurde zu behaupten, es entschlacke und baue einen sozusagen grundlegend wieder auf?

Joke schüttelte sich beim bloßen Gedanken.

Dann plötzlich hatte er den rettenden Einfall: In dem alten Schuppen gegenüber vom Freiluftsilo seines Nachbarn und Freundes Benno Schlottenberg – Benno lagerte darin das Feuer-Holz für seinen Werkstattofen - stand doch bestimmt noch ein Kistchen Veltins frei zugänglich herum. Und bei der Gelegenheit konnte er sich auch gleich hinter dem Schuppen ein kleines Zigarettchen paffen, weil er dort für die Männertreffen mit Benno immer ein Päckchen Marlboro für sich versteckt hatte. Denn das Rauchen war im Hause Rietkötter streng untersagt, nachdem Mia sich kurz nach ihrem 50. Geburtstag vom Nikotin verabschiedet und mit dem Laufen angefangen hatte. Mittlerweile bewältigte sie locker die Halbmarathon-Distanz, war bei allen größeren Wettbewerben in der Umgebung dabei und redete neuerdings davon, sie werde sich nun bald einen lang gehegten Traum erfüllen und am New York Marathon teilnehmen. Joke konnte ihre Begeisterung für diese Rumrennerei überhaupt nicht teilen. Sein Gesichtsausdruck hellte sich lediglich angesichts der Aussicht auf ein heimliches Bier und eine genauso heimliche Zigarette auf. Nach diesen beiden winzigen Sünden wäre Mias allenfalls ökologisch wertvolles Abendessen vermutlich wesentlich besser zu verdauen. Grinsend sprang Joke auf seinen Trecker, startete ihn und fuhr – nun pfeifend und sich kaum noch müde fühlend - über diverse kleinere Feldwege zu Bennos Schuppen. Über die Landstraße, die von Höllingsen nach Ripplohe führte, wäre er schneller gewesen, hätte sich aber der Gefahr ausgesetzt, von Mia gesehen zu werden, die hier um diese Uhrzeit gern noch eine Runde joggte.

Joke freute sich über das üppige Grün der Bäume und Sträucher, über Holunderbüsche, Klatschmohn und Wilde Möhren, die am Wegesrand blühten und über die großen Gerstenfelder, durch die ein sanfter Wind wehte, so dass die Halme und Grannen sich wie Meereswellen bewegten. Auf der Pferdekoppel von Fritze Lindner sprangen munter zwei Fohlen umher, während ihre Mütter seelenruhig in die Abendsonne blinzelten und mit ihrem Schwanz nach den Fliegen schlugen.

Oh, wie liebte Joke diese unspektakuläre bodenständige Schönheit seiner westfälischen Heimat. Erst recht in dieser Jahreszeit, wenn die Natur alles in Hülle und Fülle bereit stellte und alle Sinne erfreute. Sollte Mia ruhig nach New York jetten, um dort mit irgendwelchen Idioten um die Wette zu rennen – ohne ihn! Er würde es sich derweil hier in seiner Börde gutgehen lassen, soviel stand mal fest.

Bald hatte Joke seinen Sehnsuchtsort - Bennos Schuppen - erreicht. Er parkte den Trecker und ging zielsicher auf den Eingang der blau gepinselten Bretterbude zu. Zum Glück, dachte er, war es heute alles andere als heiß gewesen – das hieß, dass das Bier sogar durchaus angenehm temperiert sein würde. Die windschiefe Tür klemmte etwas und quietschte zudem, als Joke sie öffnete.

Im Inneren des Schuppens war es recht dunkel, weil es nur eine kleine Luke neben der Tür gab. Auch durch die Ritzen zwischen den Holzlatten fiel kaum Tageslicht. Joke kümmerte das nicht. Zielsicher griff er ohne hinzusehen in die Bierkiste, die direkt neben dem Eingang stand, und ebenso blind nach der Zigarettenschachtel auf der obersten Lage der ordentlich aufgestapelten Holzscheite links daneben. Dann verließ er den Schuppen wieder und setzte sich auf die grüne Bank, die Benno an der Rückseite aufgestellt hatte. Geschickt hebelte er die Flasche mit einem Einwegfeuerzeug auf und nahm einen großen Schluck – herrlich! - bevor er sich eine Marlboro in den Mund steckte, sie anzündete und lustvoll daran zog. Zufrieden lehnte er sich nach hinten. Die Anspannung des Tages löste sich in bloßes Wohlbefinden auf.

Hach, so ließ es sich leben!

Er durfte bloß nicht vergessen, sich gleich beim Nachhausekommen neben einer Dusche auch gründlichem Zähneputzen zu unterziehen, um Mia nicht unnötig aufzuregen. Danach würde er sie mit einem schnellen Küsschen auf die Wange begrüßen, ihr leckeres, gesundes Essen loben und ohne zu Murren seinen Brennesseltee schlürfen.

So saß Joke eine ganze Weile auf der Bank, schaute entspannt in die nun bereits tief stehende Sonne, trank und rauchte genüsslich vor sich hin. Gerade, als er überlegte, ob er sich gleich noch einmal an Bennos Biervorräten und an einer weiteren Marlboro vergreifen sollte, um dann aber pronto zum Abendessen nach Hause zu eilen, fiel sein Blick etwas genauer auf Bennos Silo gegenüber der Bank. Es war komplett mit schwarzer Plastikplane abgedeckt, die von alten Autoreifen beschwert wurde. Benno war ein wenig zwanghaft, was man auch daran erkennen konnte, dass er die Reifen in einer ganz bestimmten Anordnung versetzt auf seinem Gärhaufen platzierte.

Komisch, dachte Joke: In der untersten Reihe, da, wo die Plane ein paar Zentimeter über den Untergrund lappte, schienen zwei Reifen zu fehlen. Die Plane flatterte an dieser Stelle geräuschvoll im Wind. Vermutlich hatte der Silohaufen daher überhaupt erst seine Aufmerksamkeit erregt.

Und dann entdeckte Joke etwas, das ihm zunächst an sich gar nicht mal so befremdlich vorkam. Schließlich meldeten seine höheren Hirnregionen ihm aber doch, dass die regungslose, menschliche Hand, die da unter einer Siloplane hervorschaute, nicht nur ein irgendwie komischer Anblick, sondern eine ziemlich grausige Entdeckung war.

...

Aus "Landeier und andere Spezialitäten. Neue Geschichten aus der Westfälischen Provence"

Leo auf der Leiter

Als Mann bei uns auf dem Dorf ist man zum einen Mitglied im örtlichen Schützenverein. Zum anderen engagiert man sich bei der freiwilligen Feuerwehr. Cosi fan tutte - alle tun das und zwar sozusagen von Geburt an. Gut, bei den „Tautrockenen“ wie wir es sind, gibt es schon mal Ausnahmen. Die werden soweit auch geduldet. Allerdings lässt man nicht so schnell locker, wenn es darum geht, zumindestens die Zugezogenen, die man einigermaßen sympathisch findet, für die beiden wichtigsten dörflichen Institutionen zu werben.

Trotz Johans erfolgreicher Weigerung aktiv bei beiden Vereinen mitzumischen, wurden wir gleich nach unserem Einzug zu Nutznießern des Feuerwehr-Engagements unserer Nachbarn. Unser Haus, dessen Fassade in einem für das Auge wenig erfreulichen Gelbton gehalten war, sollte einen frischen weißen Anstrich bekommen. Wir waren knapp bei Kasse. Unser Budget reichte gerade einmal für den Kauf der Farbe. Also beschloss Johan, der ebenso handwerklich geschickt wie in der Regel schwindelfrei war, selbst Hand anzulegen. Er hatte schon mit der Arbeit angefangen, als er feststellte, dass er selbst auf unserer großen Alu-Schiebe-Leiter nicht hoch genug hinauskam. Es musste also eine andere, längere Leiter her. Schnell kam er auf die Idee, bei Jo nachzufragen, der Brandmeister war und zudem die Schlüsselgewalt über das örtliche Spritzenhaus inne hatte. Trotz Johans Nicht-Mitgliedschaft wurden die beiden sich schnell handelseinig: Unsere Unterstützung am Bratwurstgrill beim nächsten Feuerwehrfest plus zwei Kästen Bier gegen die Ausleihe der betagten, aber funktionsfähigen roten Feuerwehrleiter. Bereits am Wochenende darauf stand sie bei uns vor der Haustür. Johan war begeistert. Es war ein Modell aus den frühen 1950er Jahren auf luftbereiften Rädern, das noch mit Muskelkraft hochgekurbelt und justiert werden musste. Sofort begann mein Mann unter Einsatz der Leiter weiter zu streichen. Auch Leonard, unser damals ungefähr vierjähriger Sohn, war sehr angetan davon, dass es rote Feuerwehrleitern nicht nur in seinen Bilderbüchern, sondern auch in echt gab. Er quengelte so lange herum, bis Johan ihn mitnahm.

Unter der Aufsicht seines Vaters durfte er dann hin und wieder vor ihm auf die Leiter klettern und einen kleinen Pinsel schwingen. Ich sah den beiden durch das weit geöffnete Küchenfenster im oberen Geschoss zu und freute mich über die gemeinsame Aktion von Vater und Sohn, die vermutlich jeden Entwicklungspsychologen beglückt hätte.

Weil Leonards „große“ Schwester Eleanor den Tag bei einer Freundin aus dem Kindergarten verbrachte, beschloss ich die geschenkte kinderfreie Zeit zu nutzen und mich an die Bügelwäsche zu machen. Ich stellte mich in die Nische gegenüber vom Fenster, wo das Bügelbrett stand und legte los. Es waren riesige Berge von Wäsche, die ich zu bewältigen hatte, und ich bedauerte es ein wenig, dass ich dabei mit dem Rücken zum Küchenfenster stehen musste und - statt in die warme Frühlingssonne zu schauen - nur die langweilige weiße Wand vor Augen hatte. Hin und wieder gönnte ich mir eine kleine Auszeit und sah dann auch wieder nach draußen, wo sich zu Vater und Sohn nun auch noch Jo und Hart gesellt hatten. Sie halfen Johan die Leiter zu den nächsten Stellen zu verrücken, die er streichen wollte.

Um während der Pausen dazwischen nicht ganz untätig zu sein, hatten sie sich schon einmal mit einer der beiden Bierkisten befasst, die Johan vor dem Hauseingang abgestellt hatte. Ich grinste. Wie ich Jo und Hart kannte, hatten die keinerlei moralische Bedenken, die Hälfte unserer Bierspende gleich hier an Ort und Stelle zu veruntreuen. Leonard hatte offenbar genug vom Streichen gehabt, spielte aber nun friedlich im Sandkasten.

Wer weiß, wie lange das noch so bleibt, dachte ich und drehte mich wieder zu meinem Bügelbrett um. Wenn ich schnell weitermachte, würde ich vielleicht noch fertig werden, bis Leonard demnächst vehement sein Mittagessen einforderte. Also bügelte ich und bügelte. Ich kam regelrecht in einen Bügel-Flow und freute mich über jedes Teil, das ich glatt und zusammengefaltet in den Korb legen konnte.

Dann plötzlich hörte ich deutlich Leonards immer etwas heiseres Kinderstimmchen: „Mami, hallo! Maaaami!“

Leolein, mein Schatz“, sagte ich ohne von meiner Arbeit aufzublicken, „geh' doch noch eine kleine Weile in dein Zimmer. Ich bin hier gleich fertig, und dann koch' ich uns was Schönes!“

Guck mal, Mami. Was ich kann. Gaaanz ohne Hände. Maaami, du sollst mal guk-keeen!“

Nur noch drei kleine ungebügelte T-Shirts lagen vor mir.

Gleich, Leo, mein Lieber. Drei winzige Minütchen, ja?! Dann ist alles gebügelt, und die Mami hat Zeit für dich.“

Maaami! Jetzt auch nur auf ei-neeem Fuß und ooohne Hände. Ich turne gaaanz allein. Hier oooben auf der Leiter. Schau' doch endlich mal, Mami!“

Mann, Leo“, sagte ich, „ich hab' dir doch gerade erklärt, das ich nur noch... .“

Ich brachte den Satz nicht zu Ende. In meinen Ohren klirrten die Worte meines Sohnes: „Hier oben“ , „auf der Leiter“ und „auf einem Fuß und ohne Hände“.

Fast wagte ich es nicht mich umzudrehen. Mein Verstand sagte mir schließlich, es wäre besser und so tat ich es. Mir gegenüber, also draußen auf der Leiter, die nun offensichtlich direkt unter unserem weit geöffneten Küchenfenster platziert worden war, balancierte ganz allein ein vierjähriger, strohblonder Knabe, der aussah und sprach wie mein Sohn Leonard. Er selbst konnte es nicht sein. Ich hatte ihn doch gerade noch unten im Sandkasten gesehen.

Es ist dein Sohn!“, sagte eine Stimme und ehe mich noch fragen konnte, wo die jetzt herkam, war ich auch schon mit einem Satz beim Fenster, packte das Kind bei seinen weit nach vorn ausgestreckten Armen und riss es an mich, in die Sicherheit unserer Küche. Bei der Aktion ging ich zu Boden und Leonard fiel auf mich.

Aua“, beschwerte er sich.

Mein Herz raste und mir wurde ein wenig schwindelig und schlecht. Ich schloss meinen Sohn in die Arme und hätte am liebsten losgeheult.

Uff“, sagte ich stattdessen.

Dann sah ich aus dem Fenster. Johan hatte offensichtlich beschlossen, ein wenig Siesta zu machen. Er saß in angeregter Unterhaltung mit unseren beiden Nachbarn auf den Steinstufen vor unserer Haustür und trank mit ihnen ein Bier.

Ein paar Wochen später beim Feuerwehrfest erzählte ich Jo und Hart die Geschichte von Leo auf der Leiter und meiner dramatischen Rettungsaktion. Von der dadurch ausgelösten Ehekrise berichtete ich nichts.

Hm“, sagte Jo, der Brandmeister. Dann verschwand er im Spritzenhaus, kehrte aber kurz darauf wieder zurück. Er hatte ein Formular für die Aufnahme in die freiwillige Feuerwehr dabei, das er mir ohne weitere Worte in die Hand drückte.

Was soll ich denn jetzt damit?“

Deinen Sohn schon mal anmelden“, antwortete Jo. „Oder willst du einer solchen Berufung etwa im Wege stehen?“

Aus dem Krimi: "Tödliches Feld"

Montag, 24. Januar – abends


Es war so leicht. Er hatte keinen Verdacht geschöpft und war einfach mitgekommen. Natürlich war er überrascht, weil der Angriff wohl das Allerletzte war, was er erwartet hatte. Wegen der Dunkelheit war sein Gesichtsausdruck nicht so genau zu erkennen gewesen, aber es war zu vermuten, dass er fragend geblickt hatte.

Du? Warum?

Mit Sicherheit hatte er nicht den Schimmer einer Idee gehabt, warum er auf diesem dunklen Feld plötzlich dem Tod in ausgerechnet dieser Gestalt gegenüberstand. Überhaupt wäre ihm wohl niemals in den Sinn gekommen, dass jemand ihn eines Tages umbringen würde.

Aber genau so war es.

Das Opinel-Messer war spitz und unglaublich scharf. Die Hand war ungeübt, und doch stach sie im richtigen Moment auf die richtige Art zu. Der Stich ging müheloser als erwartet durch seine Kleidung. Er stöhnte auf, stammelte etwas, das nicht zu verstehen war. Nach dem zweiten Stich brach er zusammen und blieb röchelnd liegen. Es gelang ihm, sich kurz wieder hochzurappeln, als ihn der dritte, vierte und fünfte Stich trafen. Er versuchte, sich wegzurobben und schaffte noch ein paar Meter nach rechts. Dann streckte er sich plötzlich ganz aus und blieb auf dem Bauch liegen, mit dem Gesicht nach unten im Matsch.

Es war sicherer gewesen, zunächst bei ihm zu bleiben.

Bloß nichts riskieren.Auf gar keinen Fall durfte er überleben!

Er lag im Acker, wenige Meter vom Weg entfernt. Das Röcheln hatte bald aufgehört. Die Stunde Wache an seiner Seite war mit das Schlimmste, auch weil es regnete und regnete. Aber es war wichtig auszuharren. Es gab Sicherheit, dass er wirklich kein Lebenszeichen mehr zeigte und dass er nicht nur bewusstlos, sondern wirklichtot war, erlöst von einem viel zu langen Leben ohne Liebe.

Plötzlich war da so ein Triumphgefühl. Es ließ die feuchte Kälte vergessen, die immer unbarmherziger unter den Mantel und in den Körper kroch.

In seiner Jackentasche war sein Portemonnaie mit allen Ausweispapieren. Die sollten besser verschwinden. Vorerst brauchte keiner zu wissen, wer er gewesen war. Das verschaffte Zeit.

Er war kein Königssohn mehr. Aus, die Maus... .


...

Hendrik Reismann sah Marie vor sich, wie sie ihm ungefähr eine Stunde zuvor begegnet war: Durchnässt, frierend und seltsam verstört. So hatte er sie noch nie gesehen. Ihr Gesicht war kreidebleich gewesen. Hendrik spürte auf einmal, wie sehr er Marie liebte. Selbst Clara, die bildschöne Clara, hatte ihm nicht soviel bedeutet.

Sein Vater war zu ihm ins Feld gelaufen gekommen, wo er gerade dabei war, den Zaun am Ufer der Schledde zu begutachten, und hatte ihm berichtet:

Ein Toter ist hinten im Westfeld gefunden worden. Die Polizei ist schon im Dorf, in Hagens Kneipe sind sie. Diese Psychologin, die Großnichte vom alten Fitti, hat ihn wohl entdeckt.“

Hendrik hatte sich um eine möglichst unemotionale Reaktion bemüht und gewartet, bis sein Vater wieder gegangen war. Erst dann hatte er versucht, Marie auf dem Handy zu erreichen. Als sie sich nicht meldete, hatte er sich auf den Weg zur Kneipe gemacht. Plötzlich hatte sie vor ihm gestanden. Hendrik schämte sich dafür, dass sein erster Gedanke der Frage galt, ob jemand sie jetzt zusammen sehen konnte und wie man sie wohl wahrnehmen würde. Würde nicht selbst der eher unromantisch veranlagte Durchschnitts-Himmelsholsener ihnen anmerken, dass sie ein Liebespaar waren?

Nach der Begegnung mit Marie war Hendrik auf seinen Hof zurückgekehrt und hatte dort trotz des Regens angefangen Holz zu hacken. Er hatte gehofft, es würde ihn ablenken von seiner Sorge um Marie und von seinem schlechten Gewissen. Es hatte nicht funktioniert, und er hatte sich riesige Vorwürfe gemacht: Wieso war er eben nicht einfach mit ihr mitgegangen?Sie musste doch völlig geschockt und aufgewühlt sein, nach allem, was sie erlebt hatte! Sie hätte ihn gebraucht! Sie wollte ihm nur wie immer nicht zur Last fallen.

Verdammt, ich Idiot.

Wütend warf Hendrik die Axt neben sich auf den Boden. Er beschloss, nun doch noch in die Kneipe zu gehen, um sich aufzuwärmen, etwas zu trinken und nachzudenken, was er denn jetzt tun sollte. Er vergrub seine eiskalten Hände in den Taschen seiner braunen Klepper-Jacke und lief schnurstracks zum Haus Hagen.

Annette Hagen stand hinter der Theke, und er bat sie um einen Kaffee. Sie erledigte seine Bestellung erst nach einem langen, besorgten Blick auf seine durchnässten Sachen.

Man könnte meinen, dubist heute auch im Feld gewesen, um dort Leichen zu finden“, bemerkte sie beiläufig, während sie den dampfenden Milchkaffee vor Hendrik abstellte.

Auf der Weide hinten an der Schledde entlang muss ich den Zaun reparieren“, sagte er. „Wollte mir schon mal genauer ansehen, was da im Frühjahr auf mich zukommt. Dann hab' ich noch Holz gehackt. Bin noch nicht zum Umziehen gekommen.“

Annette runzelte die Stirn.

Du kennst auch nur noch die Arbeit“, sagte sie, und es klang wie der Vorwurf einer vernachlässigten Ehefrau. Hendrik überhörte es. Er fuhr sich mit der Hand durch die feuchten blonden Haare und begann dann, seinen Kaffee zu trinken.

Das war schon 'ne gute Idee, Annette, dass du diese italienische Wahnsinns-Maschine angeschafft hast. Alles, was Recht ist. Der Kaffee schmeckt klasse.“

Annette zuckte die Schultern. Sie wollte sich nicht über geschäftliche Investitionen mit Hendrik unterhalten, soviel war klar.

Diese Psychologin“, sagte sie. „Die tut mir richtig leid. Muss kein schöner Anblick gewesen sein, diese Leiche im Feld.“

Jetzt zuckte Hendrik seine Schultern.

Das bestimmt nicht. Aber sie wird da wohl drüber hinwegkommen.“ Er bemühte sich, soviel Unbeteiligtheit wie möglich in seine Sätze zu legen. In ihm sah es anders aus.

Sie haben den Toten nicht identifizieren können. Klar ist wohl nur, dass er keiner von uns ist.“

Keiner von uns.

Annette Hagens Worte klangen in Hendrik nach.

Was wollte sie ihm denn damit sagen?

Diese Polizisten“, sagte Annette jetzt, „das war vielleicht ein seltsames Paar. Haben kaum Fragen gestellt. Aber wir sollen uns bei denen melden, wenn uns etwas Ungewöhnliches aufgefallen ist.“

Aha“, sagte Hendrik und wich Annettes erwartungsvollem Blick aus.

Was wollte sie bloß? Wissen, ob ihm etwas aufgefallen war in Himmelsholsen? Ob ihm vielleicht ein fremder Mensch im Dorf begegnet war?

Er bemühte sich, so schnell wie möglich seinen Kaffee zu trinken. Warum war er bloß hierher gekommen?
„Ist alles in Ordnung bei dir, Hendrik?“ Wieder sprach ihn Annette an.

Herrgott, konnte sie ihn nicht in Ruhe lassen?

Sie nervte ihn mit ihrer hartnäckigen Art, die sie an den Tag legte, um mit ihm ein Gespräch anzufangen. Zum Glück war die Kaffeetasse leer.

Zahlen“, sagte er und legte zwei Euromünzen auf die Theke. Annette sah ihn schon wieder viel zu lange an.

Stimmt so“, sagte er knapp.

Danke“, sagte sie, nun ebenfalls kurz angebunden.


Draußen umfing ihn die feuchte Kälte und ließ ihn frösteln. Er schlug den Kragen seiner Jacke hoch und beschloss, nach Hause zu gehen, um sich endlich etwas Trockenes anzuziehen. Als er an Maries Haus vorbeiging, überfiel ihn heftig die Sehnsucht nach ihr. Zum hundertsten Mal fragte er sich, warum alles so war, wie es war. Warum er jetzt nicht einfach zu ihr gehen konnte, in ihr warmes Haus, das er liebte, viel mehr als sein eigenes. Warum er sie nicht in die Arme schließen konnte. Jetzt, da sie zur Abwechslung ihn mal brauchte und nicht umgekehrt, er es war, der sich an ihr festhielt, mit einer Intensität, die ihm oft ganz unheimlich war. Er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Ähnliches empfunden zu haben, selbst in der Zeit, als Clara und er glücklich miteinander gewesen waren.

Natürlich ging er weiter und betrat das Wohnhaus seines Hofs. Sein Vater saß in der großen Küche im Erdgeschoss des Hauses und las Zeitung. Seine Mutter stand am Herd und kochte das Mittagessen.

Würd' noch gern duschen vorm Essen“, sagte er, ist das recht?“ Seine Mutter nickte ihm kurz zu:

Aber beeil' dich.“ Sein Vater hob den Kopf.

Noch was Neues bei Annette erfahren?“

Nicht wirklich. Annette fand die Polizisten nicht besonders engagiert. Die Ermittlungen scheinen aber zu laufen.“

Sein Vater und seine Mutter machten den Eindruck, mit dieser knappen Information zufrieden zu sein. So wie sie selbst nur das Nötigste sagten, erwarteten sie auch von anderen selten lange Reden. Hendrik war in diesem Augenblick froh darüber. Er lief ins Obergeschoss des Hauses und betrat das Badezimmer mit den schönen Grünsandsteinfliesen. Die hatte Clara noch ausgesucht und verlegen lassen. Die heiße Dusche tat ihm gut, und er blieb länger darunter, als er eigentlich vorgehabt hatte. Dann erinnerte sich, was seine Mutter gesagt hatte.

Rasch stellte er das Wasser aus und trocknete sich ab. Als er sich frische Sachen anzog, fiel ihm plötzlich etwas ein.

Seltsam“, dachte er, während er nach unten ging, um gemeinsam mit seinen Eltern zu Mittag zu essen.


...