Der Text des Monats ist aus: Ins Kraut geschossen. Frische Geschichten aus der Westfälische Provence und anderen schönen Orten

 

Explodierte Rotweinsoßen oder: Ist das Kunst?

                        The earth without art is just eh*

                                               Unbekannter Autor

 

Mein Mann Johan malt Landschaften: Realisti­sche Bilder, die Motive aus unserer schönen westfälischen Provence zeigen oder auch Him­mel und Meer seiner norddeutschen   Heimat. Abstrakte oder informelle Kunst hält er besten­falls für Verlegenheitslösungen von Leuten, die weder eine Zentralperspektive noch  Licht und Schatten ordnungsgemäß aufs Papier oder die Leinwand kriegen. Vor einiger Zeit hatte uns meine Schwester mal in eine Galerie ge­schleppt, die ein Bild von einem ihrer Künstler­freunde präsentierte. Mara und ich starrten wie hypnotisiert auf eine riesige Leinwand, auf der drei knallrote Querbalken auf hellgelbem Grund zu sehen waren. Sonst nichts. Der Künst­ler hatte seine Komposition traum der morgenrö­te genannt

   „Das ist ein sehr interessantes Spannungsfeld, das sich da auftut zwischen Bild und Titel“, be­merkte ich, und Mara nickte zustimmend.

   „Hm“, meinte Johan.

   Weil ich ihn wirklich schon sehr lange kenne, weiß ich, was dieses Hm bedeutet. Drei breite rote Striche zu einem traum der morgenröte zu verklären, geht ihm gegen den Strich.

   „Johan findet das Bild schrecklich“, übersetz­te ich Hm für Mara. „Er hält den Maler für unta­lentiert und den Titel für einen unzulänglichen Versuch, es mit tieferer Bedeutung aufzuladen, um so über  handwerkliches Unvermögen hin­weg zu täuschen.“

   Mara grinste,  gab aber noch nicht auf. „Es ist ja auch die Idee, die zählt“, sagte sie. „Und übrigens: Beuys zum Beispiel oder Picasso konnten durchaus richtig gut gegenständlich malen.“

   „Hm“, sagte Johan.

   Diesmal hieß Hm so etwas wie „dann hätten die Typen dabei bleiben sollen, anstatt Frauen mit drei Nasen zu malen oder Badewannen mit Fett einzukleistern“.

   Ich verkniff mir diese weitere Übersetzung. Mara sollte nicht allzu tiefe Einblicke in Johans eher traditionelles Kunstverständnis erhalten. Und schon gar nicht sollte sie hinter die Kulis­sen unserer langjährigen Ehe blicken, die  of­fensichtlich dazu geführt hatte, dass wir gar nicht miteinander sprechen mussten, um zu wissen, was der andere sagen wollte.

 

Nun aber komme ich zu dem Ereignis, durch das ich das künstlerische Geschick meines Mannes überhaupt erst richtig zu schätzen weiß und die bildende Kunst für die Kunst schlechthin halte, gegen die zum Beispiel Bücher schreiben belanglos ist.

   Alles begann mit einer großen Renovierungs- und Putzaktion. Wir hatten uns endlich eine neue Einbauküche angeschafft. Nachdem wir es mit der alten fast bis zur Silberhochzeit ausge­halten hatten, bestellten wir uns im Möbelhaus ein schickes, sehr modernes Modell mit allem Zipp und Zapp, das nun geliefert werden sollte. Das war die Gelegenheit, den kompletten Raum auf Vordermann zu bringen. Nachdem die alte Küche abgebaut war, hatte Johan die Wände ge­weißt und die Decke in einem hellen Grauton gestrichen, und ich hatte sämtliche Fliesen an der Wand und auf dem Boden so sauber ge­schrubbt, dass sie wie neu aussahen. Zwei kom­plette Wochenenden hatten wir damit zuge­bracht. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Am späten Sonntagnachmittag des zweiten Wo­chenendes waren wir fertig – durchaus im dop­pelten Sinn. Erschöpft saßen wir auf den leeren Farbeimern  und tranken ein Bier auf unseren handwerklichen Erfolg. Lange ausruhen konn­ten wir uns nicht. Abends erwarteten wir unse­re Nachbarn, Ingrid und Hart, zu unserem mo­natlichen Sonntagskochklub, der trotz Reno­vierung bei uns stattfinden sollte. Weil wir nur eine provisorische Induktionsherdplatte zum Kochen nutzen konnten, die uns meine Freun­din Lioba geliehen hatte, war mit Ingrid und Hart verabredet worden, dass wir uns um das Fleisch in Gestalt eines Wildschweinschmorbra­tens kümmern würden. Die Vorspeise, die Bei­lagen und das Dessert – also alles andere - woll­ten die beiden mitbringen.

   Nun fällt die Zubereitung von Fleisch von je­her in Johans Zuständigkeitsbereich. Ich be­schloss also, mich am Anblick der frisch gestri­chenen Wände, der strahlend sauberen Fliesen und meines kochenden Mannes zu erfreuen. Das alles ließ sich, da wir eine zum Wohnzim­mer hin offene Küche haben, sehr gut liegend - vom Sofa aus - erledigen.

   Mit einem Rezept aus „Wild kochen“ vor der Nase schnitt Johan Zwiebeln und Möhren, er­stellte ein Bouquet Garni aus frischen Kräutern und deponierte alle weiteren Zutaten für sei­nen Wildschweinbraten einschließlich des Rot­weins  zum Ablöschen griffbereit neben Liobas Kochplatte, die auf einem alten Klapptisch ihren Platz gefunden hatte. Aus der Anlage im Wohnzimmer erklang der Gesang von Jose Carreras, und Johan summte selbstvergessen bei Nessun Dorma mit. Hübsch sah das aus, wie er da so konzentriert vor sich hin werkelte, fand ich, bevor ich meine Augen schloss, um mich ganz der schönen Musik und den nun aufkommenden Wohlgerüchen hinzugeben. Offenbar war das Fleisch mittlerweile bereits in der Pfanne gelandet. Ich hörte noch, wie Johan etwas zu mir sagte wie: „Das wird heute ein sehr leckeres Sößchen“, dann muss ich für einige Momente weg genickt sein.

   Der Knall war so laut, dass ich - augenblick­lich hellwach - vom Sofa aufsprang und den Na­men meines Mannes schrie, der im selben Mo­ment laut „Scheiße“ rief. Ich war mit einem Satz in der Küche... und sah die Bescherung. Of­fenbar in dem Moment, als Johan den Rotwein in den Bräter gekippt hatte, war ihm der kom­plette Rotweinsoßenansatz quasi um die Ohren geflogen. Und nicht nur dahin! Die fettige dun­kelrote Flüssigkeit war einmal komplett über den ganzen Fußboden gespritzt.

   „Bist du wahnsinnig!“, brüllte ich meinen Mann an. „Meine schönen saubere Fliesen! Mein Werk! Die Arbeit von vier Tagen! Zerstört!“

   „Was heißt hier meine Fliesen? Mein Gesicht ist verbrannt.“ Auch Johan wurde – entgegen seiner üblichen Art – recht laut.

   „Warum kippst du auch den Alkohol 'rein ohne die Pfanne vom Herd zu nehmen?“ Mein Mitleid mit Johan und seinen sich nun allmäh­lich rötenden Wangenpartien hielt sich in Grenzen. Dafür wuchs mein Mitgefühl für mich selbst. Verdammt! Ich kannte jede einzelne dieser Fliesen im Detail und hatte mir eine schmerzhafte Entzündung am Ellenbogen eingehandelt, so gründlich hatte ich mir an ihnen zu schaffen gemacht. Und nun das! Im Prinzip konnte ich von vorn anfangen.

   „Vier Tage, Johan“, wetterte ich. „Vier Tage habe ich diesen blöden Boden gewienert wie 'ne  Bekloppte und du ruinierst einfach mal al­les mit dem blöden Braten.“

   Im Prinzip wusste ich, wie ungerecht das war, was ich meinem Mann an den Kopf warf. Aber irgendwie kam ich aus der Nummer so schnell nicht wieder 'raus.

   Johan war mittlerweile verstummt. Ich ver­schwand kurz aus der Küche, um Wischeimer, Schrubber und Feudel zu holen. Als ich damit zurückkam, sah ich, dass er die jetzt knallroten Stellen in seinem Gesicht mit einem Eiswürfel kühlte. Ich würdigte ihn keines weiteren Blickes, sondern fing an - fluchend und auf al­len Vieren -, die  Rotwein-Fettmischung von den Bodenfliesen zu entfernen.

   „Danke für deine außerordentliche Empa-thie“, zischte Johan mir zu.

   „Dito“, keifte ich zurück.

   Dann ging er nach draußen, um eine Zigarette  zu rauchen und als er zurückkam, hatte ich mich ein wenig beruhigt.

   „Noch schlimm?“, fragte ich vorsichtig.

   „Geht schon wieder.“

   Johan ist kein Weichei. Er hat zwei ältere Brü­der. Wahrscheinlich lernt man da Schmerzen auszuhalten.

  Ich wischte die Küche zu Ende, und Johan produzierte eiligst eine neue Rotweinsoße für das Wildschwein – diesmal ohne Explosion. Dann deckte ich den Esstisch, dekorierte ihn hübsch und sah noch einmal nach, ob der Begrüßungssekt schon die richtige Temperatur hatte. Alles war wieder im Lot.

   Dachte ich.

  Als ich den Sekt aus dem Gefrierfach nahm und in den Kühler mit den Eiswürfeln legte, wanderte mein Blick zufällig zur vor kurzem frisch in Hellgrau gestrichenen Zimmerdecke. Sie war über und über gesprenkelt. Im schönsten Rotweinrot.

   Diesmal kam Johan zu mir in die Küche ge­rannt. „Um Gotteswillen, Adele“, rief er. „Warum schreist du so? Was ist denn jetzt wieder passiert?“

   Ich konnte kaum reden.

 „Sch...sch...schau“, stammelte ich. „Nach oben, daaa!“

  Johan sah an meinem ausgestreckten Arm entlang nun ebenfalls zur Küchendecke empor.

   „Oh“, sagte er.

  „Und du hast... natürlich hast du... keine Farbe mehr... von dem Grau... hast du mir... ja selbst gesagt... vorhin. Johan! Weißt du, was... das... be­deutet? Wir müssen, du musst... die ganze De­cke... noch einmal... streichen. Und die Küchen­möbel werden übermorgen geliefert! Ich könnte heulen. Warum hattest du überhaupt die ver­dammte Idee mit diesem Wildschwein in Rot­weinsoße?“

   Ermattet sank ich auf den leeren Eimer mit Deckel, in dem sich ehemals die selbst ange­mischte graue Farbe befunden hatte.

   Johan legte mir vorsichtig seine Hand auf die Schulter: „Ein  bisschen sieht das ja aus wie die­ses Action-Painting, das wir neulich mit Mara zu­sammen gesehen haben. Das fandest du doch eigentlich ziemlich gut.“

   „Ich will aber kein Action-Painting mit Rot-wein“, kreischte ich. „Jedenfalls nicht hier! Nicht an der Decke der Küche! Nicht in meinem Haus!“

   In diesem Moment trafen – zum Glück! - Hart und Ingrid ein. Ihre Anwesenheit  verhinderte, dass sich in unserer Küche zu den Rotwein- auch noch die Blutflecken von Johan und mir gesellten.

 

Am nächsten Abend, als ich nach Hause kam, stand Johan in der Küche - ganz oben auf der Leiter. In seiner linken Hand hielt er die Palet­te, die er sonst in seinem Atelier auf dem Dach­boden unseres Hauses zum Mischen der Ölfar­ben für seine Landschaftsbilder verwendet. Mit der anderen Hand schwang er einen kleinen Künstlerpinsel.

   Mir blieb der Mund offen angesichts des Wun­ders, dessen Augenzeugin ich gerade wurde. Kunst kommt wirklich von Können! Offenbar hatte Johan den grauen Farbton an der Decke erfolgreich nachmischen können und war jetzt dabei, jeden einzelnen Rotweinsprengsel schwungvoll und mit dem ihm eigenen resolu­ten Strich zu eliminieren. Das Ergebnis war großartig: Weder sah man rote Flecken noch hoben sich die überpinselten Stellen vom grau­en Untergrund ab.

   „Ach, Johan“, sagte ich leise, nachdem ich zur Sprache zurück gefunden hatte. „Vergiss' Beuys und Picasso. Der einzig wahre Künstler in meinem Leben bist du.“

 

   Johan hörte mich nicht. Er war vertieft in seine Arbeit, und auch heute spielte die  Carreras-CD, und wieder sang er mit, diesmal bei E lucevan de stelle. Ich beschloss, ihm in die Arme zu sinken, sobald er von der Leiter heruntergekommen wäre.